Archäologie in Rheinhessen und Umgebung e.V.

Fund des Monats - September

Eine Statuette des Mars Cnabetius – Ein kriegsverletzter Gott mit Alterserscheinungen?

In den Jahren 1984/85 wurde am Fuß der bekannten spätlatènezeitlichen Höhensiedlung „Hunnenring“ bei Otzenhausen/Saarland auf der Flur „Auf dem Spätzrech“ ein gallo-römischer Umgangstempel freigelegt. Dabei konnten u.a. insgesamt sechs bronzene Götterstatuetten geborgen werden, von denen vier dem Gott Mars und jeweils eine den Gottheiten Apollo und Diana zugeordnet werden können. Eine in der Nähe des Tempelareals gefundene bronzene Weiheinschrift ist Mars Cnabetius gewidmet und unterstreicht die Bedeutung dieses gallo-römischen Gottes für das Heiligtum.
Ein Exemplar dieser Marstatuetten fällt durch eine nach unten geneigte tropfenförmige Auswölbung am Bauch und feinen Rillen am rechten Oberarm und an den Halspartien auf. Das restliche Erscheinungsbild der Statuette gleicht der üblichen Darstellung des Gottes in der Kategorie der Weihestatuetten, wie sie als antikes Massenprodukt für Weihegaben zahlreich bekannt sind: ein unbekleideter Gott mit korinthischem Helm, einer Lanze in der linken und einem Schild in der rechten Hand. Bei der Erstpublikation des Fundstückes wurden die  charakteristischen Körpermerkmale als „Darstellung herausquillenden Gedärms“ und Ausdruck von „Alter und Siechtum“ gedeutet, die symbolisch für die Heilkräfte des Gottes stünden. Als Beleg für diese Interpretation wurde ein linguistischer Beitrag aus dem Jahre 1936 herangezogen, dessen Autor den Beinamen Cnabetius als „der Verstümmelte“ übersetzt. Die gewagte These eines verstümmelten und von Alter gezeichneten Gottes stieß damals mangels Vergleichsfunde auf Kritik. Gegenargumentationen, es handele sich bei dem Exemplar lediglich um einen Fehlguss, wurden mit der Begründung entkräftet, dass die Statuette in diesem Fall nicht auf einem Sockel angebracht worden wäre. Der damalige Grabungsleiter ließ das Fundstück schließlich von einem Professor eines anatomischen Institutes begutachten, der in der Auswölbung einen Narbenbruch sah.
Im Rahmen einer Magisterarbeit über den Umgangstempel „Auf dem Spätzrech“, ergab sich eine erneute Untersuchung der Statuette, bei der moderne Klebespuren im Bereich der Füße und der Hand mit der Lanze festgestellt werden konnten. Prof. Dr. Markus Egg und Stephan Patscher M.A. vom Römisch-Germanischen-Museum in Mainz erkannten schließlich anhand des andersartigen Metalls in der Lanze eine moderne Kopie. Röntgenuntersuchungen im RGZM ergaben einen homogenen Vollguss für die Statuette ohne Anzeichen von Gussblasen, Poren oder größeren Hohlräumen. Auch das aus dem Bauch herausragende „Geschwülst“ ist nicht nachträglich angefügt, sondern entstand aus dem gleichen Guss. Schließlich ist ein schmaler Freiraum zwischen den Füßen und dem Sockel erkennbar, was weder auf ein Vernieten noch auf ein Verlöten der Figur hinweist. Vielmehr wird das sichtbare Loch auf der Oberseite des Sockels zum Befestigen einer Statuette gedient haben. Demnach wurde die Marsfigur bei der Restaurierung auf den Sockel angefügt und mit einer Lanze ergänzt. Darüber hinaus fanden sich sowohl für die Statuette, als auch für den Sockel unterschiedliche Fundzettel, welche die Stücke als Einzelfunde ausweisen. Das zentrale Argument, die Figur sei kein Fehlguss, da sie auf einem Sockel montiert ist, kann demnach nicht bestätigt werden.
Auch die Altersmerkmale benötigen eine genaue Betrachtung. Die sogenannten Falten treten im Bereich des Oberkörpers zwischen Gesicht und Auswölbung sowie an der Innenseite des rechten erhobenen Armes auf. Weder der gesenkte linke Arm noch die Beine oder die Rückseite der Figur weisen ähnliche Strukturen auf. Diese wären jedoch zu erwarten, falls die Absicht bestand, einen alternden Gott darzustellen. Vielmehr ziehen alle Konturen von den am höchsten gelegenen Punkten des Oberkörpers direkt auf die Auswölbung zu und sind bis zu deren Spitze zu erkennen. Bei einer Beschädigung der Gussform an dieser Stelle fließt von den darüber liegenden Bereichen die flüssige Bronze in Richtung Beschädigung, tritt dort aus und formt sich zu einem nach unten gewölbten Tropfen. Die „Falten“ stellen somit vielmehr Guss- bzw. Fließlinien dar, bei denen aufgrund des Fehlgusses die Mühe gespart wurde, diese zu entfernen. Durch die geneigte Haltung des linken Arms ist dieser von der Fließrichtung der Bronze abgeschnitten. Gusslinien können dort also nicht entstehen.
Das bisher ohne Vergleichsfund vorliegende Exemplar würde in diesem Fall eine Sonderanfertigung darstellen, die bei solch einem Massenprodukt kaum zu erwarten ist. Obwohl Fehlgüsse in der Regel wieder eingeschmolzen wurden, sind fehlerhafte Exemplare, die für einen geringeren Preis erworben werden konnten, durchaus denkbar. Alternativ sind auch Werkstätten im unmittelbaren Umfeld des Tempels möglich, die für den Kultbetrieb und die Pilger Weihestatuetten produzierten. Das vorliegende Stück wäre somit ein Abfallprodukt, welches nicht wieder eingeschmolzen wurde. Gusstiegelfunde mit Bronzeresten belegen zu mindestens Bronzegusstätigkeiten im unmittelbaren Umfeld des Tempels.

Literatur

D. Burger, Der gallo-römische Umgangstempel „Auf dem Spätzrech“ bei Schwarzenbach/Saarland. Aufarbeitung der Grabungen 1984/85 (Publikation in Vorbereitung).
D.Burger, Der gallo-römische Umgangstempel „Auf dem Spätzrech“ bei Schwarzenbach/Saarland – Neue Erkenntnisse zu einem Heiligtum in der civitas Treverorum. Ber. Arch. Rheinhessen u. Umgebung 3, 2010, 44–59.
S. Faust, Figürliche Bronzen und Gegenstände aus anderen Metallen aus Stadt und Regierungsbezirk Trier in Privatbesitz II. Trierer Zeitschr. 63, 2000, 263–306.
R. Gleser, Römischer Gott mit Altersschächen? Arch. Deutschland, 2, 1998, 50 f.
S. Gutenbrunner, Mars Cnabetius. Zeitschr. Celt. Philol. 20, 1936, 278–283.
P. Jung, Neue Untersuchungen im Bereich der römischen Siedlung "Auf dem Spätzrech" in Nonnweiler-Schwarzenbach (Lkr. St. Wendel) – Ergebnisse der Arbeiten 2006 bis 2009. In: S. Hornung (Hrsg.), Mensch und Umwelt I. Archäologische und naturwissenschaftliche Forschungen zum Wandel der Kulturlandschaft um den „Hunnenring“ bei Otzenhausen, Gem. Nonnweiler, Lkr. St. Wendel. Universitätsforsch. Prähist. Arch. (Bonn 2010) 155–224.
A. Kolling, Ein gallorömisches Quellheiligtum. Kasbruch Neunkirchen Wellesweiler (Neunkirchen-Wellesweiler 2002).
A. Miron, Der Tempel von Schwarzenbach "Spätzrech", Kr. St. Wendel. Zur Aufarbeitung eines Altfundkomplexes. In: A. Haffner/S. von Schnurbein (Hrsg.), Kelten, Germanen, Römer im Mittelgebirgsraum zwischen Luxemburg und Thüringen. Kolloquien Vor- und Frühgesch. 5 (Bonn 2000) 397–407.


Daniel Burger M.A.
Römisch-Germanische Kommission
des Deutschen Archäologischen Institutes
Palmengartenstraße 10–12
60325 Frankfurt a. M.

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